Reise zu einem der bedeutendsten Mahnmale deutscher Geschichte

Gedenkstättenfahrt nach Oświeçim (Auschwitz)

Vom 19.01–24.01. machten wir uns, 36 Schüler*innen aus Q1 und Q3 in Begleitung von Herrn Sell und Frau Regett, auf den Weg nach Oświeçim, dem Ort an dem vor weniger als 100 Jahren 1.100.000 Menschen, vor allem Juden, systematisch vernichtet wurden, dem Ort zu dem Elli Wiesel, Auschwitz-Überlebender, einmal sagte „Darüber zu sprechen, ist unmöglich, darüber zu schweigen, verboten“.

Nach einer langen Busreise am Vortag ging es am Morgen des 20.01 direkt los mit einer vierstündigen Führung durch das Stammlager Auschwitz I. Doch bevor diese überhaupt losgehen konnte, ging es durch eine flughafen-ähnliche Sicherheitskontrolle, die – wie ich mir hab sagen lassen – erst letztes Jahr eingeführt wurde. Anschließend betraten wir das Gelände der Gedenkstätte unterirdisch durch einen Durchgang mit hohen Betonmauern unter freiem Himmel. Dieser homogene, neutrale, futuristische anmutende Durchgang zum Gelände, durch den man mehrere Minuten läuft und allmählich durch eine sehr schwach ansteigende schiefe Ebene dem Gelände näherkommt, wirkte wie ein krasser Kontrast zum Konzentrationslager (KL). Es wirkte auf mich, als stehe dieser Durchgang zur Gedenkstätte für eine Ordnung, konsequente Linien und Stabilität, einer imaginierten glatten unmenschlichen, ja unmöglichen Zukunft, gar einem Ende der Geschichte, wo nur die in zeitlich immer gleichen Abständen hallenden Namen der Opfer des Holocausts aus den nicht sichtbar in die Wand versenkten Lautsprechern an die dunkle Vergangenheit erinnern.

Was danach kam hatte nichts mehr mit einer ordentlichen oder stabilen futuristischen Imagination zu tun.

Es wirkte einerseits viel mehr wie ein Abbild der Abgründe der menschlichen Seele, der grenzenlosen Brutalität und Perfidität, zu denen Menschen offensichtlich fähig sind und andererseits wie ein Abbild von unvorstellbar zerdrückten, erniedrigten, zutiefst traumatisierten Seelen, wie man sich es eigentlich nicht vorstellen kann.

Das KL wirkt realer und surrealer zugleich. Realer, weil es trotz der unfassbaren, fast surrealen Ereignisse trotzdem näher an der echten Welt der Menschen zu sein scheint als der futuristische saubere Eingang. Genauer gesagt wirkt dieser stabil und vollendet anmutende graue Eingang mit seinen Betonflächen menschenunmöglicher in Form einer Metapher des Menschen als das Lager selbst. Eine erschreckende Erkenntnis!

Indem ich hier von dem „Mensch“ spreche, möchte ich keineswegs darüber hinwegtäuschen, dass es konkret viele einzelne Menschen des NS-Regimes waren, die diese Gräueltaten zu verantworten haben, sondern vielmehr die Zeitlosigkeit schrecklicher vermeintlich unmenschlicher Eigenschaften des Menschen verdeutlichen, die in Auschwitz sichtbar werden.

Während der vierstündigen Führung durch das Stammlager erfuhren wir etwas über den Aufbau des Lagers, über die Lagerinsassen, die dorthin deportiert wurden und auch allgemeine Informationen über beide Lager. Des Weiteren besichtigten wir die Dunkelzellen und Stehzellen im Keller eines Gebäudes, wo Lagerinsassen eingesperrt wurden, die gegen die Lagerordnung verstoßen hatten. Oft war dies auch mit Essenentzug verknüpft und endete nicht selten mit dem Tod für die sowieso schon geschwächten Häftlinge. Da es an diesem Tag sehr voll in der Gedenkstätte war, fühlte es sich in dem Keller mit niedrigen Decken und engen Gängen voller Menschen umso beengender an und es war eine grausame Vorstellung, dass Häftlinge der Stehzellen zuerst, wie Tiere durch eine niedrige Türe krabbeln mussten, um sich dann zu viert eine Zelle, 90x90cm groß, zu teilen. Darüber hinaus erzählte uns unser Guide von einem Insassen, der davon berichtet habe, dass SS-Männer an Weihnachten einen Weihnachtsbaum aufgestellt hätten und Leichen unter diesen gelegt hätten und fröhlich ein Weihnachtslied gesungen hätten. Das lässt tief blicken!

Am Nachmittag bekamen wir noch eine kleine Stadtführung durch die Altstadt Oświeçims und besuchten das jüdische Museum mit angliederten Synagoge.

Schließlich besuchten wir am nächsten Tag das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Es war ein komisches Gefühl, durch diesen bekannten Eingang zu gehen, durch den auch die Schienen in das Lager führen und dann allmählich zu begreifen, wie groß dieses Gelände ist, auf dem, wenn der Krieg nicht beendet worden wäre, 200.000 Menschen hätten konzentriert werden können. Auch hier dauerte die Führung ca. vier Stunden und das Leid und die Brutalität wurden besonders durch vorgelesene Erfahrungsberichte der Lagerinsassen annähernd deutlich. Da berichtete ein junges Mädchen von kleinen Kindern, die vor Hunger schrieen oder ein Mann aus dem Sonderkommando – einer Gruppe von jüdischen Gefangenen, die ausgewählt wurde, um die Vernichtung der Juden selber vorzubereiten und durchzuführen – wie er den Leichen nach der Vergasung die Haare abschneiden musste oder ihnen die Goldzähne oft stammt Zahnfleisch ziehen musste.

Diese Erfahrungsberichte an den Orten des Geschehens zu höheren, hat unheimlich betroffen gemacht, auch wenn durch die Spurenbeseitigung der SS kurz vor der Befreiung der Roten Armee nicht vielmehr als Trümmer von den Krematorien übrigblieben.

Diese vier Stunden waren ganz besonders eine Geschichte von menschlicher Perfidität und Grausamkeit sowie unfassbaren menschlichen Leids. Von Menschen ohne hinreichenden Zugang zu sanitären Anlagen, von Menschen, die eingeengt auf dem Boden bei Ratten schlafen mussten, von Kindern, die vor Hunger irgendwann aufhörten zu schreien und von mehreren Tausend Menschen pro Tag, die eingepfercht in einer Gaskammer aufgrund von Erstickung durch Blausäure erst aufhörten zu schreien und dann zu atmen.

Anschließend besuchten wir nachmittags noch die Kunstausstellung „THE LABYRINTH“ des Auschwitz-Überlebenden Marin Kołodziej, die einen sehr guten Eindruck dafür vermittelte, was sich wohl in dem Kopf eines Menschen im Lager angespielt haben muss und wie er versucht hat, durch die Kunst das Gesehene zu verarbeiten und Zeugnis darüber abzulegen. Besonders im Kopf geblieben sind die vielen Tausend abgemarterten und ausgelaugten Gesichter, die seine Bilder zeigen.

Tags darauf nahmen wir an zwei Workshops teil, auf die jeweils ein Teil unserer Gruppe aufgeteilt wurde. Der eine Workshop beschäftigte sich mit einzelnen Fällen von Kindern aus dem jüdischen Ghetto in Warschau und die andere Gruppe beschäftigte sich mit dem Leben von Hendryk Mandelbaum, einem Auschwitz-Überlebenden, der u.a. vom Leben im Vernichtungslager und der Arbeit im Sonderkommando berichtete.

Am Nachmittag begaben wir uns noch einmal in das Stammlager, um die Länderausstellungen zu besuchen, die sich in den verschiedenen Gebäuden im Lager befinden. Auch hier ging es wieder zuerst durch den betonierten Eingang, dessen Gestalt übrigens auch der Gestalt des Ausgangs gleicht. Es ist als reise man durch eine andere Zeit hinein und auch wieder heraus. Der Eingang und der Ausgang schienen für mich nicht als Orte zu fungieren, sondern als Wege, die mit ihren absoluten konsequenten betonierten Linien nicht der menschlichen Natur gleichen zu scheinen und somit das Bewusstsein des menschlichen Beobachters auf eine Art neutralisierend sowie öffnend wirkte und den Ausgang auch abgrenzend einbetten, sodass das besonders geschärfte menschliche Auffassungsvermögen schon fast von den Eindrücken im Lager erschlagen wirkte.

In den Länderausstellungen konnte man sich vertieft mit den Hintergründen zu den aus den verschiedenen Ländern internierten Menschen beschäftigen.

Besonders eindrücklich wirkte z.B. die israelische Ausstellung, in der sich ein großer Raum befand, in dem lauter Video mit musikalischer Untermalung auf die gesamten Wandflächen projiziert wurde, die fröhliche jüdische Menschen und Familien zeigt, die dann aber zu Opfern der Gewalttaten der Nationalsozialisten geworden sind. Eindrücklich war auch ein Vergleichsbild einer ungarischen Jüdin, wie sie vor der Internierung aussah und wie danach. Es war der Anblick eines solch abgemagerten Menschen, der aus eigener Kraft nicht mehr stehen konnte.

Am letzten Tag in Polen vor der Abreise machten wir uns auf den Weg nach Krakau für einen Tagesausflug, wo wir eine ca. vier- bis fünfstündige Führung erhielten und viel über die Stadtgeschichte und auch über das jüdische Leben und der Stadt lernten. Anschließend blieb uns

noch Zeit den Tag in Krakau ausklingen zu lassen, bevor wir uns dann um 19.00 Uhr wieder auf den Rückweg nach Oswiecim machten.

So gingen vier sehr ereignisreiche Tage am 24.01 mit der Rückfahrt zu Ende. Was bleibt sind Erinnerungen, Gefühle, Gerüche und eine klare Botschaft, die im Eingang eines der Gebäude des Stammlagers geschrieben steht: „THOSE WHO DO NOT REMEMBER THE PAST ARE CONDEMNED TO REPEAT IT“ (George Santayana)

Bericht von Johannes Henning, Q3

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